Donnerstag, 16. Mai 2013
Thema: Writing
Nachdem ich etwa eine halbe Stunde ständig die Bahnen auf und ab geschwommen war, bemerkte ich, dass die Haut an meinen Händen schon total aufgeweicht war und beschloss, für heute Schluss zu machen. Ich stieg aus dem Becken und wickelte mich in mein Handtuch. Ich beobachtete Ryan, wie er aus dem Wasser stieg und seine halblangen braunen Haare schüttelte, dass das Wasser nur so spritzte.
„Können wir gehen?“, fragte er und ich nickte. „Ich warte bei den Umkleiden auf dich.“, fügte er hinzu und verschwand in Richtung Herrenumkleide. Zurück in meiner Kabine schlüpfte ich aus dem nassen Badeanzug, der meinen Körper wie eine zweite Haut umschloss und trocknete mich ab. Dann zog ich mich an und hielt meine nassen Haare unter den Haartrockner. Nach etwa fünf Minuten wurde es mir zu blöd und ich stellte das Ding ab, obwohl meine Haare noch feucht waren und schlüpfte widerwillig in meine Absatzschuhe. Ich schnappte mir meine Sporttasche und lief nach draußen, wo Ryan schon auf mich wartete. Er wirkte nervös, vermutlich wegen dem, was er mir erzählen wollte. Ohne etwas zu sagen, nahm er mich an der Hand und führte mich aus der Schwimmhalle, schaute sich nach links und rechts um und zog mich dann an der Mauer der Schwimmhalle entlang, durch die Plastikbüsche hindurch, bis wir einen kleinen Flecken Gras erreichten, der von einer Plastikhecke umgeben war.
„Hier findet uns niemand.“, flüsterte er, setzte sich auf den Boden und bedeutete mir, es ihm gleich u tun. Ich wartete darauf, dass er anfing, mir das zu erzählen, was er erzählen wollte, aber er starrte nur nachdenklich das Gras an.
Nach einer Weile stupste ich ihn an und fragte: „Was wolltest du mir jetzt eigentlich so wichtiges erzählen?“
Er zuckte zusammen und sah mich aus seinen großen, braunen Augen ängstlich an. „Versprichst du mir, es niemandem zu sagen? Egal was passiert?“, flüsterte er. „Natürlich. Egal was passiert, ich werde es niemandem sagen, versprochen.“, flüsterte ich zurück. Er atmete tief durch.
„Ich…ich weiß nicht wie ich dir das erklären soll. Ich weiß nicht, ob…ob du es verstehen wirst. Aber ich muss es jemandem sagen.“, stammelte er. „Ich hab…ich hab wahnsinnige Angst vor den Prüfungen. Und davor, mir eine Partnerin zu suchen – was ist, wenn ich niemanden finde und mir jemand zugeteilt wird?.“
Aha. Daher wehte der Wind. Aber das war doch nichts, was man inmitten von Büschen im heimlichen besprechen musste? Jeder hatte in gewisser Weise Angst davor, keinen Partner zu finden, bis er 18 war.
„Du weißt doch, dass viele Leute in unserem Alter schon einmal in jemanden verliebt waren, oder?“, fragte er.
„Ja, natürlich weiß ich das…immerhin hat Rowan mir letztes Jahr ständig irgendetwas von diesem Typen vorgeschwärmt…“, antwortete ich.
„Bei mir ist das anders. Ich war…ich war noch nie in ein Mädchen verliebt, weil…weil ich so nicht für Mädchen empfinde. Ich weiß, das kommt dir jetzt vermutlich seltsam vorkommen, aber ich…ich fühle so für Jungen, wie ich eigentlich für Mädchen fühlen sollte, verstehst du?“, flüsterte er.
In meinem Kopf drehte sich alles. Von so etwas hatte ich schon einmal gehört, in den Erzählungen meines Großvaters. Die Gemeinschaft duldete so etwas nicht. Darauf stand die Höchststrafe.
„Oh Ryan, warum erzählst du mir das? So etwas darfst du nicht sagen! Weißt du denn nicht, dass auf so etwas die Höchststrafe steht? Wenn das jemand rausfindet sperren sie dich ein, noch mehr als jetzt schon!“, sagte ich. Ryan sah verletzt aus.
„Ich dachte eigentlich, du verstehst mich.“, flüsterte er und ich sah, wie Tränen in seine Augen stiegen.
„Ich verstehe dich doch auch. Sehr gut sogar. Und ich verstehe, dass du das jemandem sagen wolltest, aber wenn das jemand herausfindet, dann schaffen sie dich ins Gefängnis und…ich will dich als Freund nicht verlieren. Deswegen darf nie jemand erfahren, was du mir gerade gesagt hast, versprich mir das!“, erwiderte ich und umarmte ihn.
„Ich wusste, du würdest mich verstehen und mich nicht dafür verurteilen, wer ich bin…“, murmelte er. „Wie könnte ich dich dafür verurteilen, wer du bist? Du bist mein bester Freund, Ryan. Ich würde nie etwas tun, das dich verletzen könnte. Deswegen ist dein Geheimnis bei mir auch sicher.“, flüsterte ich.
„Danke…“, sagte er und löste sich aus der Umarmung. „Ich denke, wir sollten nach Hause fahren, bevor jemand bemerkt, dass wir hier sind.“
Ich nickte und hob während dem Aufstehen meine Tasche auf. Während wir zurück zur Haltestelle gingen, sprach keiner ein Wort, aber meine Gedanken rasten.
Ryan war…ja, wie nannte man das eigentlich? – Ich kannte kein Wort dafür. Er war etwas, das die Gemeinschaft vor langer Zeit ausgelöscht und verboten hatte. Etwas, das von der Gemeinschaft als unnormal angesehen wurde. Er war jemand, der für das, was er war, eingesperrt werden konnte, wenn er Glück hatte. Wenn nicht, würde die Gemeinschaft ihn töten. Deswegen durfte nie jemand erfahren, wer er wirklich war.