Freitag, 14. Juni 2013
Thema: Writing
Mindestens zehn Sicherheitsbeamte rannten auf uns zu und jemand riss mich von Ryan weg. Ich sah, wie drei Beamte Ryan festhielten und ihm die Hände hinter dem Rücken zusammenschnürten. Der Mann, der vor nicht mal einer Minute „Da ist er!“ geschrien hatte baute sich nun vor Ryan auf und sagte: „Ryan Farrow, sie sind festgenommen aufgrund einer unduldbaren Abnormität. Man wird sie vor Gericht stellen und verurteilen.“
Was sollte das? Wieso erklärte dieser Mann Ryan, was mit jemandem gemacht wurde, der gegen eine Regel verstieß oder der einfach gegen die Norm verstieß? Ich versuchte mich von dem Mann loszureißen, der mich fest hielt. „Was soll das werden?“, stieß ich hervor.
„Ihr Freund ist eine Abnormität. Von einer zuverlässigen Quelle wurde uns mitgeteilt, dass er nicht normal ist und eine Gefahr für die Sicherheit darstellt.“, erklärte der Mann mir. „Das ist nicht wahr! Ryan hat doch nichts getan!“, protestierte ich. Was konnte man ihm nur vorwerfen? Immerhin war er immer lieb, nett und freundlich zu jedem. Wirklich zu jedem, sogar zu den Leuten die er nicht mochte. Und ganz bestimmt war er keine Abnormität! Das einzige, was an ihm nicht der Norm der Gemeinschaft entsprach war…oh verdammt. Was, wenn uns jemand belauscht hatte, gestern bei der Schwimmhalle? Was, wenn dieser jemand es den Sicherheitsangestellten erzählt hatte und sie jetzt wussten, dass Ryan nicht das fühlte was er fühlen sollte?
Mittlerweile waren die Sicherheitsbeamten, die Ryan gefesselt hatten dabei, ihn in einen Sicherheitstransporter zu zerren. „Lassen sie ihn los! Er hat nichts Falsches getan!“, schrie ich, riss mich los und rannte los, zu Ryan. Ich musste ihm helfen, denn er selbst wehrte sich nicht. Ich sah die Panik in dem Blick, den er mir zuwarf. In seinen Augen standen Tränen. „Elinor…sag ihnen…du musst mir helfen!“, stammelte er. Bevor ich etwas sagen konnte, wurde ich wieder von starken Händen gepackt und festgehalten. Die Sicherheitsbeamten stießen Ryan weiter in Richtung Transporter und er warf mir einen letzten verzweifelten Blick zu, bevor sie ihn hineinschubsten und die Tür hinter ihm schlossen. „Nein!“, rief ich und versuchte wieder, mich loszureißen.
„Gib es auf, Mädchen. Er ist weg, auf Nimmerwiedersehen.“, lachte der Beamte spöttisch, der mich festhielt.
Ich beobachtete wie die restlichen Sicherheitsbeamten in einen weiteren Transporter stiegen und sich der Tumult, den die ganze Aktion hervorgerufen hatte etwas klärte.
„Ich lass dich jetzt los. Und du baust keinen Mist, Kleine, ist das klar?“, sagte der Beate und ich nickte.
Fassungslos starrte ich ihnen hinterher und konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Hatte man Ryan wirklich gerade in einem Sicherheitstransporter ins Gefängnis gebracht um ihn vor Gericht zu stellen, mit der Begründung er sei eine Abnormität? Das war völliger Irrsinn. Wenn meine Handgelenke nicht vom festen Griff des Beamten geschmerzt hätten, hätte ich gedacht das alles sei ein Traum gewesen. Aber das war es nicht. Was sollte ich jetzt nur tun? Ich konnte Ryan nicht helfen, indem ich hier herumstand und in die Gegend starrte. Ich konnte ihm nicht helfen, indem ich zum höchsten Sicherheitsbeamten ging und mich für seine Unschuld verbürgte. Keiner würde mir glauben. Verdammt, ich konnte ihm überhaupt nicht helfen. Ich war völlig machtlos.


Der Transporter, mit dem ich nach Hause fahren würde, hielt genau vor meiner Nase. Die Türen öffneten sich, aber ich stieg nicht ein. Ich stand wie paralysiert auf dem Bahnsteig und versuchte zu verstehen, was gerade geschehen war.
Ich würde Ryan nie wieder sehen. Nie wieder würde ich sein Lachen hören oder ihm durch seine dichten Haare wuscheln. Nie wieder die Grübchen sehen, die er bekam wenn er lächelte. Mich nie wieder mit ihm über Rowan und Adam lustig machen. Nie, nie wieder.
Er war einfach weg. Und ich hatte nichts dagegen tun können. Ich wollte wissen, was mit ihm passieren würde. Einen fairen Prozess bei dem über seine angebliche Abnormität abgestimmt werden würde bekam er mit Sicherheit nicht. Vermutlich würde man ihn für den Rest seines Lebens ins Gefängnis in den Hochsicherheitstrakt sperren. Oder man würde ihn töten. Beinahe hätte ich angefangen zu weinen. Aber bevor eine Träne mein Auge verlasse konnte, tippte mir von hinten jemand auf die Schulter und ich zuckte erschrocken zusammen.
„Na, auf was wartest du denn? Immerhin steht dein Transporter schon da!“, hörte ich Rafail sagen. Was machte der denn hier – er war doch mit Rowan und Adam unterwegs?
„Was schaust du denn so?“, fragte er. Offensichtlich hatte ich ihn ziemlich erschrocken angestarrt.
„Ich…ich dachte nur, du seist mit Rowan und Adam gegangen. Deswegen bin ich grade etwas verwirrt.“
Was für eine lausige Ausrede. Allerdings ließ er es sich nicht anmerken, falls er gemerkt hätte, dass etwas nicht in Ordnung war.
„Ach so.“, sagte er. „Die beiden wollten noch zum Sprinten gehen, aber ich wollte nicht. Deswegen fahr ich jetzt nach Hause.“
Neben mir hörte ich ein leises Zischen, wie das, das man hörte, wenn sich die Türen eines Transporters schlossen. Oh nein. Ich drehte mich um und sah gerade noch, wie der Transporter aus der Haltestelle fuhr. Verdammt. Jetzt musste ich nach Hause laufen – und das auch noch in meinen scheußlichen Absatzschuhen.
„Jetzt musst du wohl oder übel nach Hause gehen.“, bemerkte Rafail mit einem süffisanten Lächeln. Als ob ich das nicht selber schon gemerkt hätte. Anstatt etwas zu antworten, warf ich ihm nur einen bösen Blick zu und ging los.